EIN SCHWARZER TAG FÜR BILK
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ein Auszug aus
"Bilk vom Mittelalter bis zum Internet"

Bruno, Valon und Kilian befanden sich wohl noch im Mittelalter. Bilk bestand immer noch vor allem aus kleinen, aus Naturmaterial gebauten Fachwerkhäusern, schlecht befestigten Dorfgassen und einem kleinen Marktplatz. Ein richtiger Wochenmarkt wurde hier zwar nicht abgehalten, Bilk besaß ja keine Stadtrechte, aber hierher kam man, wenn man etwas erfahren oder erzählen wollte. Ein Umschlagzentrum für Klatsch und Tratsch also und ein beliebter Ort für neugierige Journalisten wie Kilian, Bruno und Valon. Heute schien hier etwas ganz Besonderes los zu sein. Es waren jedenfalls ungewöhnlich viele Menschen da, und sie schienen auch ungewöhnlich aufgeregt.

"Im Namen der Grafschaft von Berg", erscholl plötzlich eine laute Männerstimme über den Marktplatz, "sei hiermit kundgetan, dass der Flecken Bilike fortan zur Landgemeinde der Stadt Düsseldorf gehöre." Die Stimme redete jetzt eine Menge geschwollenes Zeug daher, und die drei stellten sich auf die Zehenspitzen, um in dem vielen Gedränge sehen zu können, woher sie kam. Auf einem Podest auf der Mitte des Platzes stand ein Mann in einem seltsamen Anzug, der ein bisschen an ein Harlekinkostüm erinnerte, mit zwei langen Zipfeln an der Kapuze. So sahen im Mittelalter wohl die Boten aus.

"Mit dem Hissen der gräfischen Flagge", fuhr er fort, "wird die Eingemeindung nun vollzogen." Ein stämmiger Mann neben ihm fing an, an einer Fahnenstange eine Flagge hochzuziehen, auf der ein Wappen mit einem Löwen prangte. Doch die Flagge war noch nicht mal halb oben, als ein großer Tumult unter den Menschen losbrach.

"Was soll das?", riefen sie durcheinander. "Wir Bilker waren immer unabhängig und wollen es auch bleiben! Nieder mit Düsseldorf! Nieder mit den Berggrafen und ihren Launen!" Ein Mann stürmte auf das Podest und riss die Fahne wieder herunter. Andere gingen auf den Boten los. So großspurig und hochnäsig er eben die Schrift verlesen hatte, so jämmerlich fing er jetzt an zu schreien, als die kräftigen Bauern ihn verprügelten. Der Mann, der die Flagge hochgezogen hatte, eilte dem Boten zu Hilfe. Er stieß einige der aufgebrachten Bilker vom Podest hinunter, aber gleich kam die doppelte Menge nach und stürzte sich jetzt auf beide. Schon war die wildeste Prügelei im Gange.

Valon, Kilian und Bruno schauten entsetzt zu. Von hinten kam ein Mann mit einer Mistgabel angerannt.

"Bahn frei!", schrie er und stieß Kilian zur Seite, dass dieser auf den Boden fiel. "Jetzt werde ich diesem Handlanger der Grafen mal zeigen, was es heißt, Bilk zu einem armseligen Stadtviertel machen zu wollen!" Kilian stand wieder auf und war jetzt auf hundertachtzig.

"Hört auf!", schrie er dem Mistgabel-Mann nach. "Seid ihr denn übergeschnappt? Wieso prügelt ihr euch? Was bringt das?"

Plötzlich herrschte Ruhe. Die Prügelei hörte jäh auf, stattdessen wurden die drei nun aus mit einigen Kratzern, Schrammen und Wunden bedeckten Gesichtern angestarrt.

"Du hast ja Recht", sagte plötzlich einer der Bauern. Der Bote im Harlekinskostüm nickte heftig. "Sich zu prügeln hilft jetzt auch nichts." Der Bote schüttelte heftig den Kopf. Bei der Prügelei hatten sich alle kreuz und quer miteinander verkeilt, jetzt standen sie wieder auf. Obwohl sie jetzt ruhiger waren, sah man heftigen Zorn in ihren Augen.

"Wir wollen nicht abhängig werden!", sagte ein anderer Bauer. "Bilk war immer ein selbstständiges Dorf, eine gute Heimat und viel älter als Düsseldorf. Unser Dorf hat es nicht verdient, einfach geschluckt zu werden!"

Zustimmende Rufe ertönten. Währenddessen versuchte der Bote, sich möglichst unbemerkt aus dem Staube zu machen. Aber daraus wurde nichts, ein Mann packte ihn am Schlafittchen und hielt ihn fest.

"Moment, Freundchen!", sagte er. "So leicht kommst du uns nicht davon." Bruno verdrehte die Augen. Fing jetzt alles wieder von vorne an?

"Du richtest deinem Grafen bitte aus, seine Höchstdurchlauchtheit möge zur Kenntnis nehmen, dass die Bilker Bürgerschaft höchst aufgebracht ist über diesen Entschluss und die Düsseldorfer Herrschaft nicht widerstandslos anerkennen wird."

"Ja... ja..., ich werde die Botschaft überbringen. Kann ich jetzt gehen?" Statt einer Antwort wurde er von dem Mann losgelassen und etwas grob auf den Weg gestoßen. Der Bote machte, dass er fortkam, der Fahnenhisser hinterher.

Die Stimmung war immer noch getrübt. Die meisten Leute verließen jetzt murrend den Marktplatz. Ein alter Mann stand noch da, auf einen Gehstock gestützt, und starrte nachdenklich vor sich hin.

"Entschuldigen Sie!", sprach Valon ihn an. "Können Sie mir sagen, warum Bilk eigentlich eingemeindet werden soll?"

"Tja...", antwortete der alte Mann. "Ich wüsste es selbst gerne. Über die Absichten der hohen mächtigen Herren weiß unsereins ja nichts. Unser Graf Adolf von Berg war wohl ganz vernarrt in Düsseldorf. Eigentlich war es zuerst ein winziges Dörfchen, lange nicht so bedeutend wie Bilk. Aber seit Graf Adolf ihm die Stadtrechte verliehen hat, wird es immer größer und schluckt viele Dörfer in der Umgebung. Bilk ist nicht das einzige."

"Das ist doch ungerecht!", sagte Bruno. "Bilk ist schon alt und groß und hat seinen ganz eigenen Charakter, und auf einmal wächst da so ein kleines Schmarotzerdörfchen heran und schluckt es einfach! Was bilden die sich eigentlich ein?"

"Wir werden sehen", sagte der alte Mann und sah sie aus weisen Augen an. "Wir werden es wohl nicht verhindern können, dass Bilk eingemeindet wird. Aber der Name Bilk und das, wofür er steht, muss deswegen ja nicht einfach verschwinden. Ich hoffe, dass die Bilker es schaffen werden, das Gesicht und die Identität des Dorfes zu wahren - egal, ob es nun selbstständig ist oder zu Düsseldorf gehört."

 

aus: Bilk vom Mittelalter bis zum Internet
© Monika Egbringhoff
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