
EIN SCHWARZER TAG FÜR BILK
1384
ein Auszug aus
"Bilk vom Mittelalter bis zum Internet"
Bruno, Valon und Kilian befanden sich wohl noch im Mittelalter. Bilk
bestand immer noch vor allem aus kleinen, aus Naturmaterial gebauten Fachwerkhäusern,
schlecht befestigten Dorfgassen und einem kleinen Marktplatz. Ein richtiger Wochenmarkt
wurde hier zwar nicht abgehalten, Bilk besaß ja keine Stadtrechte, aber hierher kam man,
wenn man etwas erfahren oder erzählen wollte. Ein Umschlagzentrum für Klatsch und
Tratsch also und ein beliebter Ort für neugierige Journalisten wie Kilian, Bruno und
Valon. Heute schien hier etwas ganz Besonderes los zu sein. Es waren jedenfalls
ungewöhnlich viele Menschen da, und sie schienen auch ungewöhnlich aufgeregt.
"Im Namen der Grafschaft von Berg", erscholl plötzlich
eine laute Männerstimme über den Marktplatz, "sei hiermit kundgetan, dass der
Flecken Bilike fortan zur Landgemeinde der Stadt Düsseldorf gehöre." Die Stimme
redete jetzt eine Menge geschwollenes Zeug daher, und die drei stellten sich auf die
Zehenspitzen, um in dem vielen Gedränge sehen zu können, woher sie kam. Auf einem Podest
auf der Mitte des Platzes stand ein Mann in einem seltsamen Anzug, der ein bisschen an ein
Harlekinkostüm erinnerte, mit zwei langen Zipfeln an der Kapuze. So sahen im Mittelalter
wohl die Boten aus.
"Mit dem Hissen der gräfischen Flagge", fuhr er fort,
"wird die Eingemeindung nun vollzogen." Ein stämmiger Mann neben ihm fing an,
an einer Fahnenstange eine Flagge hochzuziehen, auf der ein Wappen mit einem Löwen
prangte. Doch die Flagge war noch nicht mal halb oben, als ein großer Tumult unter den
Menschen losbrach.
"Was soll das?", riefen sie durcheinander. "Wir
Bilker waren immer unabhängig und wollen es auch bleiben! Nieder mit Düsseldorf! Nieder
mit den Berggrafen und ihren Launen!" Ein Mann stürmte auf das Podest und riss die
Fahne wieder herunter. Andere gingen auf den Boten los. So großspurig und hochnäsig er
eben die Schrift verlesen hatte, so jämmerlich fing er jetzt an zu schreien, als die
kräftigen Bauern ihn verprügelten. Der Mann, der die Flagge hochgezogen hatte, eilte dem
Boten zu Hilfe. Er stieß einige der aufgebrachten Bilker vom Podest hinunter, aber gleich
kam die doppelte Menge nach und stürzte sich jetzt auf beide. Schon war die wildeste
Prügelei im Gange.
Valon, Kilian und Bruno schauten entsetzt zu. Von hinten kam ein
Mann mit einer Mistgabel angerannt.
"Bahn frei!", schrie er und stieß Kilian zur Seite, dass
dieser auf den Boden fiel. "Jetzt werde ich diesem Handlanger der Grafen mal zeigen,
was es heißt, Bilk zu einem armseligen Stadtviertel machen zu wollen!" Kilian stand
wieder auf und war jetzt auf hundertachtzig.
"Hört auf!", schrie er dem Mistgabel-Mann nach.
"Seid ihr denn übergeschnappt? Wieso prügelt ihr euch? Was bringt das?"
Plötzlich herrschte Ruhe. Die Prügelei hörte jäh auf,
stattdessen wurden die drei nun aus mit einigen Kratzern, Schrammen und Wunden bedeckten
Gesichtern angestarrt.
"Du hast ja Recht", sagte plötzlich einer der Bauern. Der
Bote im Harlekinskostüm nickte heftig. "Sich zu prügeln hilft jetzt auch
nichts." Der Bote schüttelte heftig den Kopf. Bei der Prügelei hatten sich alle
kreuz und quer miteinander verkeilt, jetzt standen sie wieder auf. Obwohl sie jetzt
ruhiger waren, sah man heftigen Zorn in ihren Augen.
"Wir wollen nicht abhängig werden!", sagte ein anderer
Bauer. "Bilk war immer ein selbstständiges Dorf, eine gute Heimat und viel älter
als Düsseldorf. Unser Dorf hat es nicht verdient, einfach geschluckt zu werden!"
Zustimmende Rufe ertönten. Währenddessen versuchte der Bote, sich
möglichst unbemerkt aus dem Staube zu machen. Aber daraus wurde nichts, ein Mann packte
ihn am Schlafittchen und hielt ihn fest.
"Moment, Freundchen!", sagte er. "So leicht kommst du
uns nicht davon." Bruno verdrehte die Augen. Fing jetzt alles wieder von vorne an?
"Du richtest deinem Grafen bitte aus, seine
Höchstdurchlauchtheit möge zur Kenntnis nehmen, dass die Bilker Bürgerschaft höchst
aufgebracht ist über diesen Entschluss und die Düsseldorfer Herrschaft nicht
widerstandslos anerkennen wird."
"Ja... ja..., ich werde die Botschaft überbringen. Kann ich
jetzt gehen?" Statt einer Antwort wurde er von dem Mann losgelassen und etwas grob
auf den Weg gestoßen. Der Bote machte, dass er fortkam, der Fahnenhisser hinterher.
Die Stimmung war immer noch getrübt. Die meisten Leute verließen
jetzt murrend den Marktplatz. Ein alter Mann stand noch da, auf einen Gehstock gestützt,
und starrte nachdenklich vor sich hin.
"Entschuldigen Sie!", sprach Valon ihn an. "Können
Sie mir sagen, warum Bilk eigentlich eingemeindet werden soll?"
"Tja...", antwortete der alte Mann. "Ich wüsste es
selbst gerne. Über die Absichten der hohen mächtigen Herren weiß unsereins ja nichts.
Unser Graf Adolf von Berg war wohl ganz vernarrt in Düsseldorf. Eigentlich war es zuerst
ein winziges Dörfchen, lange nicht so bedeutend wie Bilk. Aber seit Graf Adolf ihm die
Stadtrechte verliehen hat, wird es immer größer und schluckt viele Dörfer in der
Umgebung. Bilk ist nicht das einzige."
"Das ist doch ungerecht!", sagte Bruno. "Bilk ist
schon alt und groß und hat seinen ganz eigenen Charakter, und auf einmal wächst da so
ein kleines Schmarotzerdörfchen heran und schluckt es einfach! Was bilden die sich
eigentlich ein?"
"Wir werden sehen", sagte der alte Mann und sah sie aus
weisen Augen an. "Wir werden es wohl nicht verhindern können, dass Bilk eingemeindet
wird. Aber der Name Bilk und das, wofür er steht, muss deswegen ja nicht einfach
verschwinden. Ich hoffe, dass die Bilker es schaffen werden, das Gesicht und die
Identität des Dorfes zu wahren - egal, ob es nun selbstständig ist oder zu Düsseldorf
gehört."