PASTOR BINTERIM
1839

ein Auszug aus
"Bilk vom Mittelalter bis zum Internet"

Kilian, Valon und Bruno gingen durch die Martinstraße und unterhielten sich.

"Mensch Freunde!", sagte Kilian. "So macht Geschichte viel mehr Spaß als in der Schule, oder?"

"Ja, stimmt. Die Lehrer stehen immer nur vorne und labern und labern eine Geschichtszahl nach der anderen, und wir sitzen da und vergessen eh alles wieder."

"Aber wenn man das alles selber erlebt, behält man alles. Viel besser so."

Als sie an der alten Sankt-Martins-Kirche vorbeikamen, hörten sie auf einmal Stimmen und Lachen. Plötzlich standen sie mitten in einem Fest. Die Leute waren sehr feierlich gekleidet. Die Frauen trugen enge, lange Kleider, die Männer schwarze Wollmäntel, darunter ein Hemd mit steifem Kragen und ein leicht gebundenes Halstuch. Alle redeten und lachten durcheinander. Die drei Jungen konnten aus dem Gespräch heraushören, dass es offenbar um einen gewissen Pfarrer Dr. Anton Josef Binterim ging.

"Entschuldigen Sie!", sprach Bruno eine Frau an, die ihm begegnete. "Was wird denn hier eigentlich gefeiert?"

"Ja, weißt du das denn nicht? Heute ist doch der Pfarrer Binterim aus dem Gefängnis entlassen worden!"

"Ach so. Und was hatte er angestellt?"

"Oh, ich weiß nicht genau... er hat sich irgendwie mit der Obrigkeit angelegt. Irgendwas mit gemischten Ehen oder so." Kilian fragte:

"Können Sie uns vielleicht sagen, wo er ist?"

"Irgendwo hier auf dem Fest. Ihr erkennt ihn an seiner schwarzen Robe." Die drei bedankten sich und machten sich auf die Suche nach dem berühmten Priester.

"Binterim, den Namen habe ich schon mal gehört, glaube ich. Aber wo?", fragte sich Valon.

"In Bilk gibt es eine Binterimstraße. Und eine Gedenktafel an der Bilker Kirche. Dieser Priester muss ja was Tolles gemacht haben, wenn eine Straße nach ihm benannt worden ist."

"Deswegen wollen wir ihn ja kennen lernen." Nach einiger Zeit fanden sie ihn in dem ganzen Getümmel. Pfarrer Binterim sah recht alt aus, siebzig oder achtzig Jahre vielleicht, was für diese Zeit sehr alt war. Seine Augen blickten klar, aufmerksam und kämpferisch aus dem ernsten Gesicht.

"Wer seid ihr denn?", fragte er. Kilian antwortete:

"Ich heiße Kilian, das ist Valon, und das ist Bruno."

"Mein Name ist Anton Josef Binterim. Freut mich, euch kennen zu lernen."

"Freut uns auch. Wir hätten einige Fragen an Sie. Dürfen wir Sie einmal besuchen kommen? Nächste Woche vielleicht, wenn der ganze Trubel vorbei ist?"

"In Ordnung. Kommt in einer Woche vorbei. Bis dann!"

"Bis dann!"

Eine Woche war vergangen, und die Kinder hatten sich zu Binterims Haus durchgefragt. Sie kamen in einen kleinen Raum, ganz schlicht und einfach eingerichtet, mit vielen Holzdielen, kaum Verzierungen im Raum. Überall an den Wänden hingen Portraits von alten Päpsten oder Bischöfen. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch. Der Priester hatte einen Juden und einen Protestanten zu Besuch. Sie stritten heftig. Jeder versuchte dem anderen klarzumachen, dass seine Religion oder Konfession besser und wichtiger sei als die der anderen. Der Streit wurde so heftig, dass Binterim versehentlich sein Wasserglas umstieß und das Wasser eines seiner dicken, selbst geschriebenen Bücher durchnässte. Valon, Kilian und Bruno rannten, um den Wälzer zu retten.

"Warum streiten Sie sich denn so?", fragte Valon dann. Der Protestant antwortete:

"Wir haben unterschiedliche Religionen und andere Vorstellungen von Gott und der Welt. Wir streiten um verschiedene Fragen: Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es einen Gott? Welcher Gott ist der wirkliche? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es Himmel und Hölle? Ist Gott gerecht? Erhört er unsere Gebete?"

"Warum ist euch eure Religion eigentlich so wichtig?", fragte Kilian.

"Wenn der Mensch nichts hat, woran er glaubt und wofür er sich im Leben einsetzt, dann fühlt er keinen Sinn im Leben. Unser Sinn im Leben ist der Glaube an Gott. Was haltet ihr davon?"

"Ich weiß nicht...", meinte Bruno. "Ich glaube eigentlich nicht an Gott."

"Ich meine, ein Sinn im Leben ergibt sich von ganz allein", sagte Kilian. "Ich muss dafür nicht unbedingt an Gott glauben. Tu ich auch nicht."

"Ich auch nicht. Ich weiß nicht, ich stelle mir diese Fragen gar nicht", sagte Valon.

"Wir haben viel von Ihnen gehört", sagte Kilian. "Was haben Sie eigentlich Tolles gemacht, dass Sie so berühmt sind?"

Binterim wurde etwas verlegen. "Nun ja, so toll war das ja auch nicht. Ich wurde als Sohn eines Schneiders geboren. Ich habe dann bei den Franziskanern Philosophie, Physik und Theologie studiert. Mit 23 Jahren wurde ich Priester, und mit 26 habe ich die Pfarre Bilk übernommen. Ich habe immer sehr für das Ansehen der katholischen Kirche gekämpft. Ja, ich habe auch mal von Papst Leo XII. den Ritterorden vom Goldenen Sporn verliehen bekommen." In Pfarrer Binterims Stimme schwang schon eine Portion Stolz mit.

"Aber dann bin ich ihnen wohl zu weit gegangen. Ich bin gegen gemischte Ehen zwischen Katholiken und Protestanten und bin dagegen vorgegangen. Das hat den hohen Tieren nicht gefallen, und dafür haben sie mich ins Gefängnis gesteckt. Aber ich lasse mich nicht kleinkriegen. Ich setze mich immer noch für das ein, was ich für richtig halte. Zum Beispiel durch meine Bücher. Ich habe einige geschrieben, über Kirchengeschichte, Kirchenrecht und Archäologie."

"Was für 'ne Logie?"

"Archäologie. Eine Wissenschaft, bei der es um Funde aus der Vergangenheit geht. Beispielsweise Knochen, Scherben oder Fossilien, die darauf hinweisen können, was in der Vergangenheit war."

"Toll! Was Sie so alles gemacht haben!" Die drei bewunderten den Pfarrer für seine Leistungen. Sie fanden wirklich, dass er die Gedenktafel an der Bilker Kirche verdient hatte.

"Wisst ihr, Freunde," sagte Bruno, "wenn ich einmal tot bin, möchte ich auch eine Gedenktafel bekommen."

"Ja!", sagten auch Valon und Kilian. "Das wäre schön, wenn jeder an uns erinnert würde, wenn er an der Tafel vorbeigeht."

 

aus: Bilk vom Mittelalter bis zum Internet
© Monika Egbringhoff
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